Welcher Stellenwert bleibt der Handschrift in einer digitalisierten Welt?

Schaut man sich in Seminaren oder Vorlesungen die Schreibwerkzeuge der Kommiliton*innen einmal genauer an, fällt auf, dass verschiedenste Medien beim Mitschreiben zum Einsatz kommen: Die einen tippen fleißig am Laptop mit, die anderen schreiben handschriftlich am Tablet, wieder andere schreiben mit ihrem Lieblingskuli auf Papier und dann gibt es natürlich noch die Fraktion „Ich brauche nicht mitschreiben. Das merke ich mir!“. Abgesehen von der letzten Kategorie wird anhand dieser Beispiele bereits deutlich, dass die gute alte Handschrift in Zeiten der Digitalisierung scheinbar an Popularität eingebüßt hat. 

Doch nicht nur in der universitären Bildung spielt der Kampf Handschrift vs. digitales Schreiben eine Rolle. Vor allem im Bereich des schulischen Lernens hat die Debatte eine komplett neue Dimension erreicht.
Dank des alltäglichen Konsums digitaler Medien finden Schüler*innen quasi im Schlaf den gesuchten Buchstaben auf der Tastatur. Doch den eigenen Gedanken mit einem Stift auf Papier zu Ende zu bringen, erscheint demgegenüber als schiere Meisterleistung. Umfragen zufolge hat jedes dritte Mädchen und jeder zweite Junge Probleme mit dem Handschreiben.
Dementsprechend drängt sich die Frage auf, ob das Schreibenlernen, als zentrale Aufgabe der Grundschule, digital oder analog vonstatten gehen soll. 

Was kann die Handschrift eigentlich überhaupt noch leisten im Vergleich zu Computern, die scheinbar alles können?

Der Bildungsforscher Michael Becker-Mrotzek nennt in einem Interview mit dem Deutschen Schulportal einige ganz wesentliche Vorteile des handschriftlichen Schreibens.

Neben der ständigen Verfügbarkeit besticht das Schreiben per Hand vor allem durch die damit einhergehende Aktivierung neuronaler Netze – oder einfach gesagt: Durch das Schreiben mit der Hand prägen sich die Buchstaben besser ein. Und nicht nur die einzelnen Buchstaben prägen sich besser ein, sondern auch der Inhalt des Geschriebenen. So führt das Schreiben mit der Hand zu besseren Gedächtnisleistungen und wirkt sich darüber hinaus positiv auf kognitive und feinmotorische Fähigkeiten aus. 
Weiterhin liegt es auf der Hand (Haha) , dass Schülerinnen und Schüler handschriftlich schreiben müssen, um überhaupt eine persönliche Handschrift entwickeln zu können, so der Bildungsforscher.

Demgegenüber lässt sich jedoch argumentieren, dass auch das digitale Schreiben in unserer digitalen Welt so gut wie immer verfügbar– und dazu noch unglaublich flexibel einsetzbar ist. So führt auch Becker-Mrotzek an, dass das Schreiben an der Tastatur einfacher ist. Auch ohne ausgeprägte Feinmotorik ist somit eine Bedienung möglich. Generell können also auch schwache Handschreiber*innen von dem Tippen auf einer Tastatur profitieren, da Programme zur Textverarbeitung ihnen helfen, längere, sprachlich richtige und inhaltlich sinnvolle Texte zu erstellen. Dies zeigen einige Untersuchungen. 

Der Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen

Den Schlagabtausch der immer wieder gleichen Argumente und Gegenargumente für das analoge und digitale Schreiben haben wir damit hinter uns gebracht. Sind wir daraus nun schlauer geworden? Nicht wirklich, oder?

Dejan Mihajlovic formuliert es in seinem Blogbeitrag „Warum Kritik am digitalen Schreiben so populär ist“ so:

Tablets mit Büchern zu vergleichen, indem man sie wie Bücher benutzt, ist ähnlich erkenntnisreich, wie ein Flugzeug mit einem Tretroller zu vergleichen, indem man beide schiebt und jeweils die Geschwindigkeit misst. Das Lesen und das Schreiben verändern sich, keine Frage. Aber auch deren Maßstäbe und Kontexte erfordern, im Rahmen des digitalen Wandels neu gedacht oder zumindest berücksichtigt zu werden.

Die digitalen Transformationsprozesse bringen in unserer Welt, wie wir am tagtäglich am eigenen Leib erfahren, einige Veränderungen mit sich. Man könnte, wie oben aufgeführt, entsprechend darüber diskutieren, ob die Welt bzw. das Leben der Menschen vor oder nach diesen Veränderungen besser oder schlechter war bzw. ist. Dabei verliert man jedoch das Wesentliche aus den Augen: Diese Veränderungen haben sich bereits vollzogen und sind nicht mehr rückgängig zu machen, unabhängig davon, ob sie unser Leben bereichert haben oder nicht. 

Dementsprechend sollte man sich lieber Gedanken darüber machen, wie man mit diesen Veränderungen in Zukunft umgeht und welchen Nutzen man aus ihnen zieht, anstatt die wertvolle Zeit dafür zu verschwenden, an dem Vergangenem festzuhalten. Der einzige Grund, in unserer sich ständigen wandelnden Welt auf Geschehendes zurückzublicken, liegt darin, neue Schlüsse daraus für das Gegenwärtige und Folgende zu ziehen. 

Während sozusagen am einen Ende der Welt noch darum gekämpft wird, zu beweisen, dass handschriftliches Schreiben besser sei als digitales und umgekehrt, werden am anderen Ende der Welt Sprachnachrichten verschickt und sprechende „Brotbüchsen“ nach dem Wetter befragt. 

Der digitale und damit einhergehende gesellschaftliche Wandel schreitet unaufhörlich voran, aber er ist gestaltbar. Wir haben die Möglichkeit, einzugreifen und ihn zu lenken. Dazu muss er jedoch verstanden werden.

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Wird das handschriftliche gegenüber dem digitalen Schreiben verlieren?

Sowohl das handschriftliche als auch das digitale Schreiben bieten einige Vor- aber auch Nachteile. Dementsprechend haben beide Techniken ihre Daseinsberechtigung mit entsprechenden Beschränkungen und Modifikationen.

Anstatt einen Konkurrenzkampf zwischen der Handschrift und dem digitalen Schreiben zu entfachen, sollte also vor allem auf schulischer Ebene eine Symbiose der beiden Techniken angestrebt werden, um das jeweilige Ziel zu erreichen. Schüler*innen und Schüler sollten entsprechend von Beginn an sowohl das digitale als auch das analoge Schreiben erlernen und diese Kompetenzen im Verlauf ihrer schulischen Laufbahn weiter anwenden sowie entwickeln. Jedoch sollte dabei als Faustregel stets gelten, digitale Medien nur dann einzusetzen, wenn ihr Einsatz auch wirklich Sinn macht.
Dazu ist nicht zuletzt eine entsprechend Ausstattung der Schulen von Nöten.